Geisterstadt und Bärenturm
Die gute Nachricht ist, dass die Saison offenbar vorbei ist. Dann nämlich platzt der Ort, glaubt man dem Reiseführer, völlig aus allen Nähten. Jetzt dagegen ist es ruhig, die Straßen gehören uns. Viel mehr Ort, als wir heute auf unserer kurzen Runde gesehen haben, gibt es wohl auch gar nicht.
Die schlechte Nachricht ist, dass die Saison offenbar vorbei ist. Der Ort ist eine Geisterstadt, die meisten Geschäfte sind halb leer und am Schließen oder bereits geschlossen, die Ferienwohnungen sind leer – und andere Wohnungen gibt's hier nicht. In Süditalien ist Ende September ja praktisch fast schon Weihnachten oder jedenfalls mitten im Winter.
Trotzdem, irgendwie gefällt es uns, es hat so eine »Stranger-than-Paradise«-Stimmung. Wir müssen nur etwas zu essen auftreiben – vielleicht dort, wo echte Menschen wohnen, also im Landesinneren?
Am Strand
Zwischen Torre Specchia Ruggeri und Otranto liegt der für uns schönste Küstenabschnitt derer, die wir bisher in Apulien bzw. im Salento gesehen haben. Und mittendrin liegt Torre dell'Orso an einer weit geschwungenen Bucht mit Sandstrand und grün bewaldeten Dünen hintendran, die sich sanft zur Steilküste nach oben schwingen. Ein Traum!
Im Spätnachmittagslicht spazieren wir ans hintere Strandende und treffen »Le Due Sorelle«, die in schönster Eintracht und einander zugewandt nebeneinander im Wasser stehen. Die Legende (die einer der Faraglioni-Legenden aus Sant'Andrea auffallend ähnlich klingt) dazu besagt, dass eine der beiden Schwestern bei einem Bad in tückisches Wasser geraten ist. Sie schlägt um sich, ruft um Hilfe, doch nur die Schwester kann sie hören und stürzt sich in die Fluten, um die Schwester zu retten. Vergeblich! Beide werden von den Wellen verschluckt, in einer letzten Umarmung. Doch der Meeresgott hat Mitleid mit den Schwestern, verwandelt sie in Felsen, die so für alle Zeit beieinander bleiben dürfen.
Der Rückweg führt über die Dünen in einen lichtdurchfluteten Zauberwald: der Parco Naturale della Pineta e Duna. Obwohl die Pineta eher überschaubar ist, treiben hier offensichtlich Pinien-Ents ihr Wesen! Und es wird mit Liebe und erheblichem Aufwand der Nachwuchs großgezogen.
Roca Vecchia
Südlich an San Foca oder auch nördlich an Torre dell'Orso anschließend finden sich in einem Ausgrabungsgelände die Überreste einer messapischen Siedlung aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. Wer sich nicht so für uralte Steine und Nekropolen begeistern kann, läuft am besten außen um das Ausgrabungsgelände herum, das auf einer kleinen Halbinsel liegt. So kann man dennoch die Gemäuer des Castello Roca Vecchia und überdies die Torre di Maradico besuchen – ein wild zerklüftetes, mit Höhlen und Felsspalten durchzogenes Gelände. Schön auch in der Blauen Stunde, nach einem Bad im Naturbecken Baia di Portulignu ein paar Schritte weiter nördlich.
La Grotta della Poesia
Die Legende zur Grotta ersparen wir Euch diesmal, grob geht es um eine wunderschöne Prinzessin. Wir finden, die braucht es gar nicht, der Ort ist absolut wunderschön ganz für sich alleine und auch ohne Krönchen.
Der Zugang zum Gelände kostet Eintritt, und seit einigen Jahren ist das Baden in der Grotte verboten, wenn sich auch nicht alle daran halten. Wir baden mit den Seelen und tauchen mit den Augen in das smaragdene Wasser ein ...
Die Grotta ist eine Karsthöhle, vom Meer unterspült, deren Dach eingestürzt und so das Innere presigegeben hat. Die Grotta zählt außerdem zu den Top Sehenswürdigkeiten der Region – auch, weil sich neben ihr archäologisches Ausgrabungsgelände befindet, auf dem tatsächlich auch eifrig ausgegraben wird. Eine messapische Mauer gibt es auch noch zu besichtigen.
Wir sind also wegen des Historischen hier und nicht wegen der Schönheit und dem dauernden Meeresgedönse ;-).
Küstenwanderung
Die Klippe über den Due Sorelle ist auch der Start des Küstenwanderweges, der von Torre dell'Orso nach Sant'Andrea führt und den wir unbedingt empfehlen. Besonders an einem recht stürmischen Tag, an dem die Adria zeigt, dass sie auch Atlantik kann: Mare mosso mosso!
Wir laufen oben am Abbruch der Steilküste entlang. Manchmal führen eine Treppe oder ein steiler Pfad nach unten ans Wasser. Das lassen wir uns nicht entgehen! Wir lauschen dem wilden Getöse des Meeres und lassen uns nass spritzen, wir lachen und freuen uns am Umgestümen.
Wir wandern durch das windzerzauste Land, es ist unser letzter Tag hier, wandern vorbei an den Faraglioni und an Sant'Andrea, Steine und Meer, Wind und Wellen, bis zu dem Strand und weiter, bis die Küste flacher wird und sich zum Wasser neigt. Tags zuvor waren wir mit den Kajaks hier, kaum zu glauben, bei solchem Wellengang ist an Kajakeln gar nicht zu denken. Aber was für eine Show, und was für ein grandioser Abschiedsgruß. Ciao, mare amore!