Alte Steine, neue Steine

G-Maps gibt natürlich an und vor, dass es genau weiß, wo die imaginären Trennlinien zwischen Athens Stadtvierteln so verlaufen. Ich bin ehrlich – das Ganze scheint ein bisschen zu mäandern und ich habe es nicht wirklich verstanden. Verwirrend ist, dass es eine Römische und eine andere Agora gibt. Es gibt eine Hadrian-Bibliothek und einen Hadrians-Bogen und dahinter den Tempel des Olympischen Zeus. Natürlich gibt es auch zwei Amphitheater – siehe Akropolis. Außer Letzterer haben wir alle alten und uralten Steine einfach links oder rechts liegen gelassen. Vieles kann man von außen auch ganz gut sehen, über alles findet man Unmengen mehr oder weniger interessanter Infos im Netz.

Zum Beispiel war die Römische Agora – das Marktgelände – riesig. Hier gab es eine Sonnenuhr und für Schlechtwetter und nachts eine Wasseruhr. Auf der Gemeinschaftslatrine konnten 66 Mönche gleichzeitig ihre kleinen Mönche an die frische Luft lassen! Andere Mönchsträger natürlich auch. Die griechische Agora war dafür der Politik, sprich der Demokratie, gewidmet. Hier trafen sich Philosophen und Politiker, Dichter und Denker. Heute davon übrig sind ein paar Ruinen in einem schönen Park, mitten im Zentrum von Athen.

Die Hadrian-Bib, dahinter der Monastiraki-Platz und die Skyline der Ermou

Überhaupt lässt sich hier alles zu Fuß erreichen. Die ehrwürdigen antiken Stätten liegen irgendwo in den Vierteln um die Akropolis herum. Man stolpert also fast schon zwangsläufig darüber. Archäologie-Freaks können hier bestimmt Jahre verbringen. Wer nur fünf Tage Zeit hat, muss Prioritäten setzen!

Monastiraki – voll prall!

Monastiraki ist naturgemäß mehr als der berühmte Monastiraki-Platz, der ein (mindestens gefühlter) Knotenpunkt von Verkehr, Party und Tourismus ist und auf dem gegen Abend schlichtweg der Punk abgeht. Dann ist alles in Bewegung, niemand sitzt mehr auf den erhöhten Paletten. Es wird gesungen, getrommelt, getanz und, über den Platz geschlendert, flaniert oder geeilt. Besonders wild und schön in der Blauen Stunde.

Eigentlich ist Monastiraki das Flohmarkt-Viertel und, wie wir überrascht feststellen werden, auch das Pita-Gyros-Viertel. Von fleischernen Fressalien halten wir uns ja fern, deshalb wird es hier mehr um die Flohmarktanteile gehen. Der Flohmarkt ist als Dauereinrichtung anders als bei uns in Ladengeschäften fest installiert. Sonntags bauen die Händler ihre Waren dann draußen auf. Eineinhalb Straßen weiter vom Gyros-Paradies finden auch wir etwas zu essen, praktisch mitten in der Touri-Meile. Und sieht nicht nur schön aus, sondern schmeckt sogar!

Kein Mensch weiß, wer das ganze Zeug jemals kaufen können sollte! Bevorzugt angeboten wird neben den üblichen Souvenirs vor allem Trödel und Ramsch aller Art. Und Stühle aller Farben. Mein persönlicher Lieblingsladen erinnert mich an den Spind eines früheren Klienten, der bis auf den letzten Millimeter mit, na ja, Zeug gefüllt war. Aber nicht einfach gestopft, sondern in akribischer Kleinarbeit gestapelt und gefaltet. Ein Kunstwerk! Unser Protagonist hier verfolgt ein ganz ähnliches Konzept, hat dafür aber einen ganzen Laden zur Verfügung. Bis unter die (sehr hohe!) Decke und bis auf den Gehweg davor stapelt sich der Krempel, der eigentlich wie rechtschaffener Müll aussieht. Und auch hier fragen wir uns: wer um Himmels Willen soll das kaufen wollen???

Nach oben Richtung Plaka hat Monastiraki auch einige idyllische Ecken. Je nachdem, was man unter Idylle so versteht ...

Thissio

Thissio war unsere Homebase, die gleichnamige Metrostation war direkt einmal um die Ecke. Trotzdem haben wir es geschafft, viel zu wenig von diesem Stadtteil mitzubekommen. Wichtig, auch wenn wir es viel zu spät überrissen haben: wenn man an der Metrostation den breiten Fußgängerboulevard hinaufschlendert, kommt man am Ende, wenn man will, an der Akropolis oder auch am Akropolis-Museum raus.

Und muss gar nicht, wie wir immer, den Umweg über das steile, enge und überfüllte Plaka nehmen. An selbigem Boulevard ist übrigens auch der Eingang zum Aeropag.

Auch das andernorts hier erwähnte Observatorium gehört zu Thissio, und einige schöne Bars und Restaurants. Der Boulevard ist Treffpunkt und Promenade für vielerlei Menschenvolk. Unter anderem für Tavli-Spieler.

Psirri und die Gentrifizierung

Psirri. Hm. Man sieht, spürt und riecht, wie das Viertel seine Autonomie und Echtheit zu wahren versucht. Der Kampf ist aber längst verloren: das Partyvolk und der Tourismus haben Psirri entdeckt – und überrollt. Dabei ist dieses Viertel maximal divers. Es gibt ruhige Einkaufsstraßen (die Korbflechter-Straße!), verschiedene Gastro-Gassen mit wunderbaren Mezedes-Kneipen, die schäbigen ›Outskirts‹ am Rande des Viertels und das kracherte Innere, dessen kumulative Geschmacksverirrung das »Little Kook« darstellt. Das »Little Kook« ist eine quietschig bonbonfarbene, pervers überdekorierte Disney-Märchenwelt für alle, die sich schon immer mal von Cinderella haben bedienen lassen wollen ... Wir umschiffen das Debakel großräumig und ignorieren es komplett.

Insgesamt unbedingt einen unvoreingenommenen Besuch wert. Wer in Partylaune ist: mitwippen oder besser: -tanzen, auf den Straßen. Wer den Charakter von Psirri sucht: am früheren Abend kommen und streunen. Heruntergelassene Rollläden und Hinterhöfe suchen. Das Traurige finden, und das Schöne ...

Man arbeitet am Aufschwung

Puschelschuhe ...

..gibt's auf dem Syntagma-Platz zu sehen, und zwar an den Füßen der Wachleute vor dem Parlament. Die werden jeden Sonntag um 11 Uhr in einer großen Zeremonie abgelöst und tun sonst zu jeder vollen Stunde ein paar Schritte. Zur großen Wachablösung versammeln sich haufenweise Schaulustige und beobachten die Zeremonie. die eigentlich eine Choreografie ist. In Slowmotion vollführen die Wachsoldaten ihre zeremoniellen Bewegungsabläufe, in aberwitzige Strumpfhosen-Kostüme gehüllt. Ein bisschen Show für die Tourist/-innen gibt es obendrauf. Abgefahrene Sache!

Das Geschäftsviertel

In der Athinas-Straße liegen die historischen Markthallen und auch unser ganz neumodischer zweistöckiger Supermarkt. Die Markthallen zählen zu den touristischen Must-sees. Man kann, wenn man das strenge Gerüchlein toter Tiere mag, direkt neben den Ständen essen. Ruth ist eher nach dem Gegenteil von essen. Sie wird ziemlich blassgrün im Gesicht und wir schauen, dass wir hier herauskommen. Passenderweise ist der Kotzia-Platz gleich um die Ecke ;-)

Die Platia Kotzia

Weiter führt die Athinas vom Monastiraki-Platz direkt zum verkehrsumtosten Omonia-Platz. Dort verzetteln wir uns etwas in dem dahinterliegenden Viertel, das offenbar das Geschäftsviertel und trotzdem überraschend angenehm ist: viele Fußgängerstraßen mit Cafés, eine irgendwie lässig-geschäftige Stimmung und: Tom Kpoyz ist auch schon da!

Die zwei Seelen von Plaka

Plaka, so schreiben alle Reiseführer, sei das malerischste Viertel von Athen. Aber auch das touristischste. Wir stolpern als erstes in den touristischsten Teil und sind ehrlich schockiert. Was hier passiert, ist einfach nur gruselig. Massen und noch mehr Massen von Menschen drängen sich in den schmalen Gassen und durch die zahllosen Ramschläden. Die Preise sind hoch, lauschige Plätzchen sucht man hier vergebens – was nicht an den Plätzchen liegt! Abends wird es noch enger, denn es wird schon auch in Plaka gefeiert, nur etwas gediegener ... Einerseits.

Andererseits verlässt man die Rennstrecken und findet ein paar Meter weiter: hübsche Ecken, sympathische Cafés und Tavernen, ein Kloster als Oase der Ruhe und so umwerfende Details wie den Sitzkreis unter Bäumen: alle Bänke sind im Kreis aufgestellt, alle sind besetzt. Die Leute darauf lesen etwas, machen kurz Rast oder unterhalten sich. Ein runder Ort der Begegnung: nachahmenswert!

Rooftop Cinema Paradiso

Eines unserer persönlichen Highlights in Athen: Der zauberhafte »Ein Herz und eine Krone« im englischen Original mit griechischen Untertiteln im Open Air Kino mit Akropolis-Blick. Wir hätten keinen passenderen Film finden können! Auch nach fast 75 Jahren sind Audrey Hepburn und Gregory Peck in dieser zartbitteren Liebesromanze einfach zauberhaft!

Weil wir die Einzigen waren, die nicht, wie man das heutzutage so macht, online die Karten gekauft hatten, wären wir fast nicht reingekommen. Weil wir so enttäuscht waren, hat sich dann die Kassiererin fast so sehr gefreut wie wir, als dann doch noch zwei Karten zurückgegeben wurden. Was für ein Glück – dieses unvergleichliche Erlebnis hätten wir nicht missen wollen!

Die Insel in der Großstadt: Anafiotika

Diesen Teil des alten Viertels Plaka um die Akropolis herum haben kykladische Auswanderer errichtet. Um steuerfreien Anspruch auf den Grundbesitz zu sichern, mussten sie innerhalb eines Tages ein Dach auf selbigen setzen. Im Ergebnis sind die Häuser unter dem Dach ganz schön klein ausgefallen. Das ganze Viertel atmet Kykladen-Flair: enge Treppengässchen, blumenumrankte Plätzchen, strahlend weiß getünchte Häuschen. Dir Kirchlein-Dichte ist die höchste, die wir auf G-Maps in Athen finden können. Einzig die blauen Kuppeldächer fehlen.

Der perfekte Einstieg oder die perfekte Auszeit von der wilden Großstadt, und Balsam für die Seele. Nur menschenleer ist Anafiotika längst nicht mehr: Touristen wälzen sich in Grüppchen und Gruppen noch durch die engste Gasse – so wie wir ja auch!