Schön morbide

Jetzt warum Chaniá? Weil ich gelesen hatte, dass es die schönste Stadt auf Kréta sei, dicht gefolgt von der Nachbarin an der Nordküste: Réthymno. Und ich ja immer auf der Jagd nach dem Schönen ... Und ja, in Réthymno waren wir nicht und können also gar keinen Vergleich zwischen den beiden Konkurrentinnen anstellen, aber Chaniá ist wirklich wirklich schön (auch wenn viele Ecken ein bisschen mehr Liebe gut vertragen würden), und könnte das Siegerkrönchen also durchaus verdient haben.

Am Alten Venezianischen Hafen

Zuerst zieht es uns ja immer ans Wasser, so auch hier. Unsere Heimatgasse führt auf direktem Wege zur venezianischen Festung Firka aus dem 16. Jahrhundert. Von deren Aussichtsplattform aus bietet sich ein mega Blick über den Hafen und hinüber zum Leuchtturm. Außerdem ist das Schifffahrtmuseum hier untergebracht.

Die Festung sieht immer noch recht wehrhaft aus, die Kanonen sind aufs Meer gerichtet, von wo Piraten und fremde Eroberer drohen, die Stadt einzunehmen.

Das Hafenbecken des Alten Venezianischen Hafens liegt geschützt hinter einer endlos langen Mole, an deren Ende der wunderschöne Leuchtturm steht, der vor einigen Jahren restauriert wurde und ein echter Hingucker ist! Die Häuser am Hafen versprühen tatsächlich venezianischen oder zumindest italienischen Charme. Da irritiert fast ein bisschen, dass an der Ecke die Hasan-Pascha-Moschee steht, die aber nicht mehr in Betrieb ist.

Dafür sind die alten Werften und Schiffshallen hinter der Moschee noch in Betrieb. Die eine oder andere erfüllt zwar heute einen anderen, gastronomischen Zweck, aber die Hallen stehen noch und prägen das Stadtbild – besonders gut von der Mole aus zu sehen!

Schmelztiegel der Religionen und Kulturen

Von jeher wurde Chaniá von verschiedenen Besatzern eingenommen, die ihre Spuren bis heute sichtbar hinterlassen haben. Allen voran haben die Venezianer der Stadt ihren Stempel aufgedrückt, aber auch die Osmanen, die Chaniá 1645 nach zweimonatiger Belagerung erobern konnten. Die katholischen Kirchen wurden in Moscheen umgebaut, Badehäuser und Kasernen errichtet. Die osmanische Herrschaft dauerte bis 1898. Erst am 01. Dezember 1913 wurde Kréta offiziell Griechenland zugehörig: auf der Festung Firka wurde die griechische Flagge gehisst.

Bei genauerem Hinsehen finden sich überall in der Altstadt Hinweise auf die Zeit der osmanischen Besatzung. Symbolkraft hat die Kirche Ágios-Nikólaos aus dem Jahre 1320. Die zum gleichnamigen Dominikanerkloster gehörige Kirche wurde von den osmanischen Herrschern in eine Moschee umgewandelt, der Glockenturm durch ein Minarett ersetzt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Moschee in eine griechisch-orthodoxe Kirche umgewidmet und der Glockenturm wieder aufgesetzt. Das Minarett allerdings durfte – quasi als zweieiiger Zwilling – stehen bleiben. Eine außergewöhnliche und hoffnungsfrohe Kombi: geht doch!!!

Die Altstadt

Auch jenseits der sakralen Bauten hat Chaniá eine höchst malerische Altstadt. Es macht Spaß, sich durch die kleinen Gassen treiben zu lassen, die von pastellfarbenen Häusern gesäumt sind. Zum höchst Malerischen gehört ja oft das Bröckelige, das unbestreitbar charmant ist, zumindest solange man nicht darin wohnen muss. Doch es gibt auch liebevoll gemachte und heimelige Ecken, an denen wir gerne ein bisschen verweilen.

Die Altstadt wimmelt nur so vor hübschen kleinen Läden (Schmuck!) und geschmackvoll gestalteten Tavernen, die teils in Häuserruinen unter freiem Himmel eingerichtet wurden. Natürlich darf auch die Souvenir-Ramsch-Meile auf der Touri-Rennstrecke nicht fehlen. Und schließlich sollte man auf gar keinen Fall einen Besuch der riesigen alten Markthalle am Rande der Altstadt versäumen, die von oben wie ein Kreuz aussieht und leider bei uns wegen Renovierungsarbeiten geschlossen hatte. Wenn sie gerade nicht zu hat, soll es hier hoch hergehen: sehr laut, sehr durcheinander, sehr südländisch!

In der schönsten Gasse der Stadt

steht unser Ferienhaus. Mitten in der Altstadt, auf drei äußerst schmale Etagen verteilt und obendrauf eine Dachterrasse mit Blick. Blick auf die Weißen Berge, Blick auf das Gewimmel aus Dächern und Terrassen und Aufbauten und Wassertanks, Blick auf das Meer hinter dem Gewimmel.

Von den beiden Balkonen im 1. und 2. Stock können wir und die Nachbarkatze aus erhabener Position das Gewimmel unten aus Menschen und Autos und Katzen und Kellnern beobachten, das in unserer Gasse ab vormittags im Gange ist. Nur ganz in der Früh, wenn die Müllwagen fahren und die Ladenbesitzer ihre Auslagen aufbauen und die Stadt ganz langsam erwacht, hat es diese wunderbare Stimmung aus Frühmorgenlicht und Ruhe und erstem Kaffee.

Sunset am Leuchtturm

Vor allem zur Blauen Stunde und danach zieht es das Volk und uns an die Uferpromenade, in die Bars und in die Tavernen am venezianischen Hafen, der zuvor in der Abendsonne warm und intensiv pastellig zu leuchten beginnt.

Lediglich die Restaurant-Schleuserband(it)en sind etwas nervig, wir wollen ja lieber entzückt lächelnd durch die Gassen streifen als uns mit entschuldigendem Gesichtsausdruck und zuckenden Achseln an den Speiselokalen vorbeidrücken. Wer in Richtung Speisekarte schaut, hat ohnehin verloren. Aber klar, die Konkurrenz ist hart – also lächeln, danke, vielen Dank, aber nein danke!

Am landwärtigen Ende der langen Mole findet gerade eine Hochzeit statt. Eine aussichtsreiche und sehr romantische Location, aber ziemlich unkommod für die älteren Gäste: schiefes Treppchen rauf, steiles Treppchen runter ...

Unser persönlicher Food-Favorit ist – nach dem Aperitif in der hippen Bar in der ehemaligen Werft – der nette Mafioso am südlichen Ende des Hafens in der drittletzten Gasse rechts. Von ihm mit guter, günstiger Pizza und Bier to go ausgestattet, machen wir Picknick am Fuße des Leuchtturms, zwischen untergehender Sonne an Meer und romantischer Stadtsilhouette an Weißen Bergen. So viel kann man gar nicht gucken, wie man an Bildern in seine Seele aufsaugen und für immer dort festtackern möchte!