Ipogeo di Torre Pinta

Nachdem unsere kleine Reisegruppe eine vermutlich fragwürdige Vorliebe für Grabanlagen hat, ist ein Besuch des Hypogäums Torre Pinta, das direkt vor den Toren der Stadt liegt, natürlich ein Muss. Ein Hypogäum ist ein unterirdischer, heidnischer Grabbau mit Gewölbe und, im Falle unseres Ipogeos hier, mit einer Vielzahl an Grabhöhlen. Zu besichtigen nur bei Tageslicht und gut versteckt auf dem Privatgelände der Tenuta Torre Pinta. Der Agriturismo liegt wirklich wunderschön im hügeligen Grün und zeigt sich stilistisch eigen. Maria ist ebenfalls stilistisch eigen, aber supernett, und sie drückt uns ohne Federlesens zuerst ein Glas Saft und dann den Schlüssel für die Grabstätte in die Hand, zusammen mit einer kurzen Wegbeschreibung: Nach der dritten Treppe geht es links, »è facile!«

Von außen und bei Sonnenlicht ist der Torre recht idyllisch, und mit seiner Baumfrisur fast schon witzig. Dann schließen wir das Tor auf und betreten einen grabgesäumten niedrigen Tunnel, der ins Innere führt. Hier unten hat es eine fast schon mystische Stimmung, sicherlich auch, weil wir hier ganz alleine sind. Rätselhaft bleibt, wie sie in die engen Löcher echte tote Menschen hineinbekommen haben wollen. Aber womöglich denkt man da lieber gar nicht so genau drüber nach ...

Vom Hafen aus die Stadt erobern

Üblicherweise erschließt man sich das trutzige Otranto mit seinen beeindruckend wehrhaften Mauern und dem massigen Kastell wohl eher durch die Porta Terra, die auf direktem Wege in die Altstadt und auf den Lungomare über der Stadtmauer führt.

Wir dagegen schleichen uns von hinten, von der Hafenseite, ans Centro Storico an. Am Hafen sticht das Kunstwerk »L'Approdo« des griechischen Künstlers Costas Varotsos ins Auge. Und ins Herz. Die Stadt Otranto hat nach der Schiffskatastrophe von 1997, bei der 81 albanische Geflüchtete – überwiegend Frauen und Kinder – durch die italienische Navy ›ertrunken worden sind‹, das Schiffswrack geborgen und von Varotsos zu einem eindrücklichen Mahnmal umbauen lassen. Ganz Rost und Glas, prangert das Werk den globalen Norden an, der noch immer taten- und teilnahmslos dem täglichen Sterben im Mittelmeer zusieht, und fordert Menschlichkeit von ihm ein. »L'Approdo«, die »Landung« steht hier seit 2012, geholfen hat es nicht ...

Als Kontrast zu dieser erschütternden Geschichte präsentiert sich Otranto Porto als schicker Yachthafen. Von dem ehemaligen Fischerort, der Otranto einmal war, sieht man hier nichts mehr. Vom Hafen aus erklimmen wir die Stadtmauer und die Torre Matta, die uns eigentlich ganz vernünftig vorkommt und gar nicht so verrückt, wie ihr Name besagt. Und von ihrer Aussichtsplattform oben einen mega Blick über Stadt und Hafen bietet!

Auch die Altstadt ist ordentlich herausgeputzt und ist ganz bella figura. Hübsche Läden, hübsche Lokale, hübsche Menschen. Flair hat der Ort aber trotzdem (»leider schön«) und macht absolut Lust, ein bisschen zu verweilen.

Also verweilen wir, lassen uns durch die Gassen treiben, flanieren auf der breiten Uferpromenade, genießen das goldene Abendlicht auf dem alten Gemäuer und die rosa-pastellige Stimmung vor der Blauen Stunde.

Die Kathedrale und ihre Celebrities

Die Cattedrale di Santa Maria Annunziata ist nicht nur einfach eine Kathedrale. Und sie ist nicht nur einfach schön anzusehen und ein herausragendes Zeugnis der romanisch-apulischen Baukunst. Vielmehr beherbergt sie gleich drei exzeptionelle und dabei sehr verschiedene Berühmtheiten. Zuerst aber bewundern wir das Bauwerk bzw. die Bauwerke von außen. Der Glockenturm steht nämlich ganz allein und unabhängig vom Kirchengebäude am Platz, zwischen beiden führt eine Gasse durch.

Im Inneren stoßen wir auf eine vergoldete Kassettendecke aus dem 17. Jahrhundert und auf die erste Besonderheit: das einzigartige Fußbodenmosaik. Das 800 Quadratmeter große, detailverliebte Kunstwerk hat angeblich ein einziger Mönch Mitte des 12. Jahrhunderts innerhalb von nur zwei Jahren gelegt. Der Mann muss entweder völlig beseelt oder völlig wahnsinnig gewesen sein! Das Ergebnis ist aber einfach grandios: wir erkennen zahlreiche biblische Motive und einen ausladenden Lebensbaum. Ich mag besonders die Elefantendame, die offenbar gerade auf dem Weg auf die Arche Noah ist.

Ebenfalls hier oben werden in großen Vitrinen die knöchernen Reliquien der 800 Märtyrer von Otranto ausgestellt, um die sich eine wilde Legende rankt: 1480 haben Türken die Stadt erobert, sie weitgehend zerstört und die Bevölkerung gemordet. Eine Überlebenschance hatte nur, wer bereit war, zum Islam zu konvertieren. 800 standhafte Christen haben sich allerdings lieber köpfen lassen, und so ihrer Stadt zum Beinamen »Stadt der Märtyrer« sowie sich selbst zu überlebenslangem Ruhm und einem schönen Denkmal verholfen. Und ihren 800 Köpfen zu einem exponierten Platz hinter Glas. Ob es wohl wahr ist, dass die kopflosen Leichen ein langes Jahr nicht verwesen wollten? Und dass einer der Märtyrer, bereits kopflos, aufrecht stehen blieb, bis der letzte Mann gefallen war? Chissà, wer weiß das schon ... Jedenfalls zeigt sich hier, dass unsere kleine Reisegruppe eine Vorliebe auch für Knochen hat.

Eine Treppe führt schließlich hinunter zur dritten Berühmtheit, der Krypta, die der älteste Teil der Kathedrale und ein fast märchenhaftes Gewimmel aus zarten Säulen und verschlungenen Bögen ist. Auch hier pflegt man eine Vorliebe für ›automatische‹ Kerzen, wie wir sie schon aus Ostuni kennen.

Abendlicht

Unseren Aperitif nehmen wir auf der Promenade, mit Traumblick auf den Abendhimmel zu den farblich passenden Drinks.